«Wir sind die letzte Generation, welche die Gletscherreste bewundern kann»

Sloweniens Gletscher sind bereits verschwunden: Weniger Eis bedeutet mehr Gefahren in den Bergen und weniger Wasser für die lokale Bevölkerung. Vergletscherte Landschaften erwärmen sich noch schneller als andere. Das wirkt sich auf das Alltagsleben der Menschen in Bergregionen, aber auch in Städten wie Ljubljana aus, sagt der slowenische Geograf Miha Pavšek im Interview mit SzeneAlpen.

Was fasziniert Sie an Gletschern?

Das Bergsteigen hat mein Interesse an den Gletschern geweckt. Seit meiner frühen Jugend gehe ich regelmässig in die Berge. Meine ersten Erlebnisse auf Gletschern hatte ich zunächst als Oberstufenschüler und 1987 als Student auf dem Triglav-Gletscher. Mein erster offizieller Besuch auf den Gletschern unterhalb des Triglav und der Skuta im Jahr 1994 liegt drei Jahrzehnte zurück.

Sind Sie heute noch genauso begeistert oder eher besorgt?

Ich bin immer wieder fasziniert: Es gibt immer etwas Neues, Anderes, Interessantes, Inspirierendes; etwas, das wir noch nicht gesehen, gemessen, analysiert oder untersucht haben! Aber es stimmt, dass ich auch zunehmend besorgt bin, denn es sieht so aus, als ob die letzten Gletscherflächen in unserem Teil der Alpen bald verschwinden werden.

Wie steht es um die slowenischen Gletscher und was unterscheidet sie von jenen in anderen Alpenregionen?

Die letzten Eisbewegungen und Gletscherspalten – die charakteristischsten Merkmale echter Gletscher – wurden in den 1980er Jahren auf den slowenischen Gletschern, genauer gesagt auf ihren Resten unter dem Triglav und der Skuta, beobachtet. In den Alpen, die sich schneller erwärmen als andere Regionen und Gebirge, sind die Gletscher noch anfälliger für die Auswirkungen des Klimawandels. Dabei geht es weniger um die Veränderungen selbst als vielmehr um die Frage, wie lange die letzten Gletscherflächen überhaupt noch existieren werden.

Wie wirkt sich die Gletscherschmelze auf die Natur und die Landschaft im Alpenraum aus?

Verschwinden Gletscherlandschaften, erwärmt sich die Umgebung dort noch schneller als anderswo, da die weisse Farbe die Wärme reflektiert. Das macht die einst eisbedeckte Oberfläche noch anfälliger für Erosion und Abtragung. Mit zunehmender Schmelze steht also mehr Gesteinsmaterial zur Verfügung, das durch steigende Wassermengen von gelegentlichen Gletscherabbrüchen eingebracht wird. Diese treten auf, solange die Gletscher bestehen. Während der Schmelzperiode – vor allem bei Hitzewellen – kommt es zu grossen Schwankungen in den Abflussmengen der Gebirgsbäche und Flüsse, die meist von Gletschern gespeist werden. Verschwinden sie, haben wir in trockenen Sommern eine hydrologische oder faktische Dürre. Ersteres kennt man nur in Flussläufen, letzteres überall. Gletscher sind in den gemässigten Breitengraden durch die so genannte Schnee- oder Gletscher-Retention natürliche Wasserspeicher für die Sommersaison, wenn keine Niederschläge mehr fallen. Die Folgen erleben wir schon jetzt in trockenen Sommern, wenn nahegelegene Berghütten wie die – häufig überlaufene – Triglav-Hütte auf der Kredarica, aber manchmal auch die Kranjska-Hütte bei Ledine ohne Wasser dastehen. Im Bereich der höchsten Alpengipfel zeigen sich die Auswirkungen der Gletscherschmelze auch durch häufigere Felsstürze und dem Abbrechen grösserer Eisblöcke, den Seracs, was die Besteigung einiger dieser Gipfel sehr viel gefährlicher macht. Einzelne Routen sind für einen Teil der Bergsaison oder sogar dauerhaft gesperrt, und einige Teile der Routen haben einen Begleitweg. Zunehmend berichten Bergsteiger:innen von gefährdeten Kletterrouten: Durch herabfallende oder abgelagerte Gesteinsbrocken oder durch zu rissige und unzuverlässige Griffe im Fels aufgrund von häufigerem Wechsel zwischen Frost und Tauwetter.

Wie hängen die Gletscher mit unserem täglichen Leben zusammen? Welche – vielleicht auch nicht immer offensichtlichen – Auswirkungen hat ihr Verschwinden auf uns?

Die Gletscher sind unsere wichtigsten Trinkwasserspeicher. Aber für uns ist nicht so sehr die Menge wichtig, sondern die Zeit, in der dieses Wasser zur Verfügung steht. Die Einwohner von Ljubljana zum Beispiel wissen nicht, dass sie Wasser aus der Save trinken, das durch natürliche Kiesablagerungen gesickert ist. Ihre beiden Quellflüsse, die Sava Dolinka und die Sava Bohinjka, werden vom Triglav-Gletscher gespeist, was wir vor einigen Jahren durch Tracer-Experimente bestätigt haben. Abgesehen von der Wasserversorgung sind die Gletscher lokale «Klimaanlagen», aber am charakteristischsten ist vielleicht ihr Aussehen. Was gibt es Schöneres als den Anblick von hohen Gipfeln, die von Gletschern umgeben sind? An ihre Stelle treten mehr und mehr karge, graue und dunkle Felsen. Auf globaler Ebene haben Gletscher auch einen grossen Einfluss auf die Meeresströmungen und deren Dynamik.

Wie werden die Alpen der Zukunft aussehen und was denken Sie darüber?

Optisch werden sie karger, eintöniger und dunkler, wasserärmer. In den höchsten Lagen werden sie schwieriger zu durchqueren und die Aufstiege zu den Gipfeln steiler und schwieriger werden – aufgrund der bereits erwähnten Gefahren, die sowohl Bergsteiger:innen als auch Expert:innen beobachten, wenn sie die klimatischen Veränderungen auf den Bergen als massive Bestandteile der Erdoberfläche untersuchen.

Wie, wenn überhaupt, können wir die Gletscher erhalten?

Die Alpengletscher sind schwer oder fast unmöglich zu erhalten, andere vielleicht schon. Aber keine Sorge, die Natur wird sich schnell anpassen und ein neues Gleichgewicht herstellen. Das kann man von den Menschen nicht behaupten, vor allem nicht mit unserer derzeitigen Lebensweise und dem Zwang zu kontinuierlichem Wirtschaftswachstum. Auf einem Planeten mit endlichen natürlichen Ressourcen ist ein kontinuierliches und unbegrenztes Wachstum nicht möglich, und wir scheinen in dieser Hinsicht die meisten Grenzen und Beschränkungen überschritten zu haben. Schauen wir uns sich zwei Beispiele an, die auf durchschnittliche Einwohner:innen Sloweniens zutreffen. Das erste ist unser ökologischer Fussabdruck. Für einen durchschnittlichen Lebensstil, wie wir ihn in Slowenien im letzten Jahrzehnt geführt haben, bräuchten wir knapp drei Planeten! Es ist ein kleiner Trost, dass wir damit im Durchschnitt der Länder der Europäischen Union liegen. Der grösste Beitrag zum ökologischen Fussabdruck ist der CO2-Ausstoss, wobei Transport, Mobilität und Gebäude am stärksten ins Gewicht fallen. Ein weiteres Beispiel ist der 8. April, unser ökologischer Schuldentag: Dieses Datum markierte 2025 in Slowenien den Moment, an dem wir alle Ressourcen und Ökosystemleistungen verbraucht haben, die die Erde in einem Jahr regenerieren kann. Das bedeutet, dass wir von diesem Tag an bis zum Ende des Jahres in einer so genannten ökologischen Schuld leben.

Was können wir also konkret tun?

Es ist wichtig, dass wir uns all dessen bewusst sind. Wir sollten aufhören, uns wie Lebewesen zu verhalten, die eine Art Vorrecht darauf haben, zu entscheiden, wie die Erde als unser einziges Zuhause behandelt wird. Der Blick vor unsere Haustür, wo wir noch viel aufräumen müssen, ist eindeutig: Wir sind die letzte Generation, die die Überbleibsel der Gletscher auf den höchsten Gipfeln bewundern kann. Dies ist auch das Motto des Forschungszentrums, für das ich seit mehr als drei Jahrzehnten tätig bin. Dessen wichtige Aufgabe ist es auch, die Bevölkerung für die Folgen des Klimawandels und seine Auswirkungen auf das Funktionieren der menschlichen Gesellschaft im weitesten Sinne zu sensibilisieren. Vielleicht lässt es sich am besten mit der Metapher veranschaulichen, die ich am Ende solcher Diskussionen gerne verwende: Wir können uns nicht an den Klimawandel anpassen, indem wir die Klimaanlage einschalten – wir müssen unser Denken und Handeln ändern und zwar hier und jetzt!

Interview: Katarina Žakelj, CIPRA Slowenien

Der Klimageograf

Miha Pavšek arbeitet als diplomierter Geograph und Ethnologe für das Geografische Institut Anton Melik im Wissenschaftlichen Forschungszentrum der Slowenischen Akademie der Wissenschaften und Künste (ZRC SAZU). Seine For schung umfasst Naturkatastrophen, Klimageografie, geografische Namen, regionale Geografie sowie geografische Interpretation von Fotografien und Naturerbe; er ist Autor zahlreicher Fach- und populärwissenschaftlicher Artikel. Er ist ausserdem Kommandant des Katastrophenschutzes der Gemeinde Trzin. Pavsek unterrichtet regelmässig am Bildungszentrum der Schutz und Rettungsbehörde der Republik Slowenien sowie gelegentlich an der Sportfakultät der Universität von Ljubljana. Als Mitglied mehrerer Kommissionen und Ausschüsse stellt er sein Fachwissen über Lawinen zur Verfügung. Er ist Redaktionsmitglied von «Planinski vestnik» (Slowenisches Bersteigermagazin), »Geografski obzornik» (Geographischer Horizont) und «Odsev» (Gemeindeblatt von Trzin). Der ehrenamtliche Bergführer und Ausbilder beim Slowenischen Bergsteigerverband ist zudem Mitglied von CIPRA Slowenien.
https://giam.zrc-sazu.si/en