Nachruf auf Hans Weiss (1940-2024)

Die Stimme des Schweizer Landschaftsschutzes der ersten Stunde ist verstummt. Ein Nachruf von Mario Broggi und Raimund Rodewald.

Geboren ist Hans Weiss am 6. Juli 1940 in Küsnacht bei Zürich und aufgewachsen im Prättigau, wo sein Vater Lehrer an der Evangelischen Mittelschule in Schiers war. Anfangs wurde Hans mit seinem Vater Richard Weiss, später Universitätsprofessor für Volkskunde an der Universität Zürich identifiziert. Richard Weiss war der wohl bekannteste Schweizer Volkskundler und Alpenfachmann. Hans Weiss studierte seinerseits an der Universität Zürich Geologie und wechselte an die ETH Zürich, wo er sein Studium als Kulturingenieur abschloss. Er sollte dort später wieder als Lehrbeauftragter für Landschaftsschutz und Raumplanung wirken. Vorerst kehrte er wieder ins Bündnerland zurück und übernahm 1968 die neu geschaffene Stelle für Natur- und Landschaftsschutz des Kantons Graubünden. Er brachte sich in seinen vier Bündner Jahren in denkwürdigen Einzelaktionen ein, zum Beispiel indem er den Kanton dazu brachte, eine Gemeinde im Bergell zu einer Zonenplanung zu zwingen. Um dies zu erreichen, verschaffte er sich eine Audienz beim damaligen Bundesrat Hans-Peter Tschudi und dieser bewirkte via Bünder Regierung eine Intervention gegen eine anstehende Zersiedelung der Landschaft. Massloses Verhalten bei der Raumentwicklung hat Weiss immer auf die Palme gebracht. Er mischte sich in den folgenden Jahrzehnten an vielen Schauplätzen ein, ob im Oberengadin, wo die Silser Ebene am See zur Bauzone werden sollte, bei der Linienführung A 13, welche die Flusslandschaft am Hinterrhein zerstört hätte, bei der Greina-Hochebene, die in einen Stausee versinken sollte, beim Schutz von Rebbergen in Salgesch im Wallis oder für den Erhalt des Foroglio-Wasserfalles im Tessiner Val Bavona, wo er Bundesrat Nello Celio mobilisierte. Die Werte der Landschaft zu erhalten, war von Anfang sein Antrieb gewesen. Er wurde im Europäischen Naturschutzjahr 1970 Geschäftsführer der Stiftung für Landschaftsschutz und wechselte 1992 ebenfalls als Geschäftsführer zum neu geschaffenen Fonds Landschaft Schweiz (FLS) bis zum Jahr 2000. Er hat sich in beiden Funktionen vehement gegen die Zersiedelung der Landschaft gewendet. Er stürzte sich mutig ins Getümmel der Nutzungsschlachten und erinnerte dabei an den Walliser Poeten Maurice Chappaz (1916-2009), zwar etwas weniger brachial, aber wortgewaltig, mutig und medial gut vernetzt. Er sah sich nicht als Verhinderer, sondern als Vorreiter und Förderer einer Sensibilisierung für den Wert der Landschaft. Seine beiden Bücher «Die friedliche Zerstörung der Landschaft» (1981) und «Die unteilbare Landschaft» (1987) gelten heute als Standardwerke. Seit 2001 war er vor allem publizistisch tätig,äusserte sich aber vielfach zu drängenden Themen des Landschaftsschutzes. Er verfasste mehrere Bücher, sein letztes des Jahres 2020 heisst «achtung: landschaft schweiz». Dabei war ihm eine reflektierte Verwendung der Sprache wichtig. Sie fördere einen umsichtigen Umgang mit der Landschaft und der Natur und die Verständigung unter den verschiedenen Akteuren. Dafür wirkte er in einer Schrift «Sprachkompass Landschaft und Umwelt» in Zusammenarbeit mit Kollegen an der Universität Bern im Jahre 2018 mit. 

Seine Freizeit verbrachte er gerne auf der italienischen Südseite des Simplonpasses bei Varzo, wo er ein bescheidenes Rustico in einer noch traditionellen alpinen Kulturlandschaft besass. In seinem Freundeskreis der «alten Wilden» wurde so manche Exkursion in dieser Provinz Verbania durchgeführt, so im Nationalpark Val Grande, wo er sich bestens auskannte. Aufhören war für ihn nie eine Option. Im Jahr 2004 wurde ruchbar, dass die Freiburger Regierung in der Gemeinde Galmiz mitten im fruchtbaren Gemüsegarten des Grossen Mooses bestes Landwirtschaftsland zur Industriezone erklärt hatte, damit dort ein amerikanisches Pharmaunternehmen auf 55 ha Fläche Fabrikanlagen mit 1200 Arbeitsplätzen erstellen kann. Weiss mobilisierte sein Netzwerk und trommelte Gelder zusammen und startete eine nationale Kampagne. Nach seiner Meinung fand hier ein Rechtsbruch statt, weil bei Einzonierungen Projekte standortsgebunden und eine umfassende Interessensabwägung stattfinden sollte. Mehr als 2000 Menschen marschierten durchs Galmiz-Moos, auch bürgerliche Kreise, die gegen die Verschandelung der Heimat aufstanden. Die Einzonung wurde schliesslich rückgängig gemacht. Der Super-Gau für die Raumplanung wurde abgeblasen.

Sein letztes Aufbäumen galt der Energiewende mit dem sog. «Mantelerlass» im Stromgesetz. Nach seiner Meinung war dies eine verfassungswidrige Bevorzugung der Stromversorgung in der Schweiz. Er warnte davor, die letzten unberührten Naturflächen der Energiewende zu opfern. Er trat dem Referendumskomitee bei und engagierte sich nochmals intensiv auch in den Medien, vergeblich wie wir wissen. Der Doyen des Landschaftsschutzes in der Schweiz ist am 13. Oktober 2024 inmitten seiner geliebten Landschaft verstummt. Sein Wirken wird aber in zahlreichen Landschaften weiterhin präsent sein. Die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz wird zu einem späteren Zeitpunkt eine Fachveranstaltung zu Ehren von Hans Weiss durchführen.

Mario Broggi und Raimund Rodewald

Dieser Nachruf wurde zunächst auf der Website der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz veröffentlicht, einer Mitgliedsorganisation von CIPRA Schweiz.