Standpunkt: Berge für Alle? Von wegen.
Der Zugang zu den Bergen und Bergsport ist oft unfair, exklusiv, abgrenzend und diskriminierend. Für eine gleichberechtigte Teilhabe am Bergsport plädiert Henriette Adolf, stellvertretende Geschäftsführerin von CIPRA Deutschland.
«Berge sind Freiheit.» Unsere Berge, die Alpen, das grosse Allgemeingut mit kostenlosem Betretungsrecht für jedermann und jederfrau. Hier, unter freiem Himmel, sind wir alle gleich.
Dieser Aussage würden viele wohl zustimmen. Denken Sie kurz an Ihre letzte Bergtour oder Ihre letzte Hüttenübernachtung zurück. Wie viele Menschen waren weiss? Wie viele able-bodied (nicht körperlich behindert) und able-minded (nicht geistig behindert)? Wie viele mit akademischem Hintergrund? Wie viele mit gängigen Outdoormarken ausgerüstet oder gekleidet? Und wie viele nicht? Was nach grenzenloser Naturerfahrung, Fairness und Gleichheit klingt, ist in der Realität häufig mehr als unzureichend. Der Zugang zu den Bergen und Bergsport ist oft unfair, exklusiv, abgrenzend und diskriminierend.
Denn Bergsport ist teuer: Ein zweitägige, selbstgeplante Wandertour in den Bayerischen Alpen hat einen Kostenpunkt von 100 bis 200€, und selbst ein Tagesausflug ohne Einkehr lässt sich mit 25 bis 100€ verbuchen.[1] Ausrüstungsintensive Sportarten wie Klettern oder Skifahren sind dabei noch völlig aussen vorgelassen. Günstigere Preise für sozial schwächere Schichten? Fehlanzeige. Bergsport machen Menschen, die es sich finanziell leisten können – und das sind nach Statistik vornehmlich Menschen ohne Migrationshintergrund.[2] Inklusive und integrative Angebote gibt es für den Bergsport zwar[3] – oft sind diese aber zeitlich begrenzt oder nur in urbanen Zentren verfügbar, weil sie von Fördergeldern oder Infrastruktur wie Kletterhallen abhängen. Meist steht und fällt das Angebot mit dem Engagement Einzelner. Bergsport machen Menschen, die able-bodied und able-minded sind. Für eine Teilhabe am Sport ist auch der familiäre Zugang ein wichtiger Faktor: Das Vermitteln von Wissen und die Motivation für Bergsport und Naturschutz finden vor allem innerhalb der Familie statt. Statistisch gesehen fehlt vor allem in sozial benachteiligten Familien der Bezug zum Aktivsein in den Bergen. Bergsport machen Menschen mit sozial privilegiertem Hintergrund.[4]
Die «Freiheit der Berge» ist umzäunt von finanziellen, sozialen, angebots- und bildungsbezogenen Barrieren. Somit bleibt die Teilhabe am Bergsport oft exklusiv und diskriminierend, insbesondere für sozial benachteiligte Gruppen. Für eine wirklich gleichberechtigte Teilhabe am Bergsport braucht es mehr inklusive Programme, finanzielle Erleichterungen, familiäre Bildung und die Schaffung von Zugangsmöglichkeiten schon in der Kindheit. Erst dann werden unsere Begegnungen am Berg so bunt wie im Tal.
[1] Anreise: in Bayern zwischen 12 und 26€ für ein Tagesticket im Zug (doppelte Kosten bei verschiedenen An- und Abreisetagen) und bis zu 30€ für das Parkticket über Nacht
Ausrüstung: Wanderschuhe, gebraucht ab 50€, eine Regenjacke zu mind. 30€, Hüttenschlafsack zu 24€
Übernachtung inkl. Essen: 64€ (Lager mit Halbpension, Nicht-Vereinsmitglied, Knorrhütte: www.alpenverein-muenchen-oberland.de/huetten/alpenvereinshuetten/knorrhuette (de)
[2] www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Migration-Integration/Tabellen/migrationshintergrund-nettoeinkommen.html (de)
Ekamba, Raphael (2022): „Wenn du ein Schwarzer bist, bleibst du ein Schwarzer.“: Rassismus und Integration auf dem Arbeitsmarkt. Bamberg: Otto-Friedrich-Universität. Online verfügbar unter https://fis.uni-bamberg.de/handle/uniba/54202
[3] www.alpenlebenmenschen.de/ (de)
www.alpenverein.de/verband/bergsport/sportentwicklung/inklusion-integration/angebote-fuer-menschen-mit-behinderung-im-dav (de)
[4] Schmiade, N. & Mutz, M. (2012). Sportliche Eltern, sportliche Kinder – Die Sportbeteiligung von Vorschulkindern im Kontext sozialer Ungleichheit. Sportwissenschaft, 42, 115- 125. DOI: 10.1007/s12662-012-0239-7. Online verfügbar unter https://link.springer.com/article/10.1007/s12662-012-0239-7 (de)