Standpunkt: Ziehen wir den Kopf aus der Transit-Schlinge!

Seit Jahren gibt es in Italien und Bayern Anstrengungen, die österreichischen Massnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor dem Transitverkehr entlang der Brennerachse zu kippen. Nun liegt es an europäischen Gerichten darüber zu entscheiden, was schwerer wiegt: Uneingeschränkter Transitverkehr oder das Wohlergehen der Alpenbewohner:innen und ihrer Umwelt. Ein Kommentar von Hanspeter Staffler und Josef Oberhofer vom Südtiroler Dachverband für Natur- und Umweltschutz (CIPRA Südtirol) .

Handelskammern, Frächter-Lobbys und wohl auch Ministerien nördlich und südlich der Alpen sägen unaufhörlich am in Österreich geltenden sektoralen Fahrverbot und am Nachtfahrverbot für Lastwagen. Sollten diese zu Fall gebracht werden, steigen laut einer Einschätzung des Südtiroler Dachverbandes für Natur- und Umweltschutz die jährlichen LKW-Fahrten über den Brenner binnen weniger Jahre von heute 2.5 Millionen auf 3 Millionen – eine wachsende Verkehrslawine, die es im Sinne der Menschen und der Umwelt vor Ort, aber auch angesichts der Klimakrise unter Kontrolle zu bringen gilt.

Nun versucht Italiens Verkehrsminister Matteo Salvini den Sack zuzumachen und zerrt Österreich vor den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. Mit seiner Klage will der Verkehrsminister den Weg für «freien Transit» über den Brenner ebnen: Das Geschäft der Frächter soll brummen. Wie es den Alpenbewohner:innen entlang der Brennerachse angesichts steigender Lärm- und Abgasbelastung ergeht, ist offensichtlich zweitrangig. Die Brennerautobahn ist an ihrer Kapazitätsgrenze angelangt, weil sie rund 30 Prozent Umwegverkehr aufnimmt. Der kürzere, aber teurere Weg durch die Schweiz wird von den Frächtern gemieden. Vorsichtige Studien rechnen damit, dass der Transit-Frachtverkehr bis in die 2030er-Jahre um weitere 30 Prozent zunehmen wird. Die entsprechenden Gewinne wollen die Frächter nicht an die Schweizer Bahn verlieren, welche noch über ausreichend freie Kapazitäten verfügt.

Derzeit steht Österreich mit seinen Transitmassnahmen europaweit allein auf weiter Flur. Die italienische Regierung hat in Zeiten der Erderhitzung keine Bedenken, den Strassenverkehr zu forcieren und den Alpentransit zu potenzieren. Wirtschaftskreise aus Bayern und dem süddeutschen Raum beobachten die Entwicklung wohl mit mehr Sympathien für Italiens Klage als für Österreichs Bemühungen. Die EU-Kommission machte im Sommer 2024 den Weg für Italiens Klage vor dem Europäischen Gerichtshof frei. Die Transitschlinge zieht sich langsam zu.

Jetzt liegt die Entscheidung in den Händen der europäischen Richter:innen. Ob sie zugunsten der Alpenbewohner:innen und ihrer Umwelt oder zugunsten der Interessen einiger Frächter ausfällt, steht in den Sternen. Es wird jedenfalls eine Standortbestimmung: Ist Europa eine Union für Partikularinteressen oder eine Union für die Menschen? Ist freier Warenverkehr wichtiger als Umweltschutz? Geht Gesundheit oder Betriebsgewinn vor? Möglicherweise gibt es auch ein salomonisches Urteil. Wir sind zuversichtlich, dass der Alpenraum seinen Kopf noch rechtzeitig aus der Schlinge zieht.

 

Der Dachverband für Natur- und Umweltschutz (CIPRA Südtirol) ist die grösste Umweltorganisation Südtirols und zugleich die einzige regionale CIPRA-Vertretung.