Klimaerfahrungen aus dem Alpenraum
Welche Gefühle löst die Klimakrise in uns aus? Sieben Betroffene aus verschiedenen Regionen der Alpen teilen ihre Erlebnisse und Gedanken.
«Die absolute Hilflosigkeit bei den Überschwemmungen in Slowenien.»
Als ich vor dem Haus stand und beobachten musste, wie der Sturzbach alles zerstört, dachte ich mir: Wir sind so verdammt klein. Dadurch bin ich mir nicht sicher, ob ich in Zukunft Kinder haben möchte. Mir fällt es schwer, unbeschwert und fröhlich über die Zukunft nachzudenken. Ich habe Angst, dass ich durch den Klimawandel irgendwann alles verliere, wofür ich hart gearbeitet habe. Mir fällt immer wieder auf, wie ich mit grosser Angst jeden heftigen Regen beobachte und fest überzeugt bin, dass irgendetwas zerstört wird. Tjaša, 24, Übersetzerin, Kamnik/SI
«Mittlerweile betrachten wir jede Wetterwarnung mit Sorge.»
Ich habe drei schwere Hochwasser erlebt: 1994, 2016 und 2020. Im Jahr 2016 wurde uns bewusst, dass sich dieses Ereignis von jenen in der Vergangenheit sehr unterscheidet, was die Intensität und Konzentration der Niederschläge angeht. Ich befürchte, dass sich starke Niederschläge und lange Dürreperioden abwechseln werden, die enorme Probleme für die Wasserversorgung bedeuten. Diese Phänomene lösen Sorgen und Ängste aus, die vor allem bei älteren Menschen zu Stresssituationen und Unwohlsein führen. Giorgio, 71, Bürgermeister und Lehrer, Ormea/I
«Mich beängstigt die Geschwindigkeit, mit der der Klimawandel voranschreitet.»
Was mir am meisten Angst bereitet, ist die Gefahr eines Wassernotstandes. Das bereitet mir als Landwirt im Sommer oft unruhige Nächte, weil meine Kulturen kaputt gehen und man dann nicht weiss, wie man das wieder auf die Reihe kriegt. Reinhard, 60, Landwirt, Weiden/D
«Da ich die Ursachen für Extremwetterereignisse kenne, mache ich mir Sorgen, wie es in 20 Jahren aussehen wird.»
Ich fürchte mich vor den Folgen von Dürren und Ernteausfällen, vor dem Abschmelzen der Gletscher und der Wasserverknappung. Am meisten beunruhigen mich die Konflikte, die daraus entstehen werden. Ich hatte in der Vergangenheit mit Klimaangst zu kämpfen. Mir hat es geholfen, mehrere Realitäten gleichzeitig anzuerkennen: Irgendwo gibt es eine Katastrophe, ich muss für Prüfungen lernen, aber ich esse gerade mit einem Freund zu Abend. All diese Dinge sind gleichzeitig real. Polona, 25, Studentin der Forst-, Wasser- und Landschaftswirtschaft, Wien/A
«Es sind die kleinen Details, die uns die grosse Veränderung zeigen.»
Um im Sommer im Ailefroide/F zu campen, mussten wir Daunenjacke, Mütze und dicke Socken tragen. Und trotzdem wachten wir steif vor Kälte auf. In den letzten zwei Jahren waren wir schockiert von der extremen Hitze am Tag und den milden Nächten. Ich fürchte mich vor den künftigen Spannungen um die natürlichen Ressourcen. Meine Gefühle schwanken zwischen Wut und einem Gefühl der Nostalgie angesichts dessen, was wir gerade verlieren. Sofia, 26, Sozialpsychologin, Lyon/F
«In den 80er Jahren konnte man kaum von Raststätte zu Raststätte fahren, ohne unzählige Insekten vom Wagen zu waschen.»
Als ich an einem Sommertag 1’200 Kilometer fuhr und meine Heckscheibe kein einziges Mal putzen musste, war mir klar, dass der Klimawandel real ist. Wir haben gelernt, was sich technisch und gesellschaftlich machen liesse. Allerdings prangert niemand in Verantwortung unser Wohlstandsniveau als zu hoch an. Die grösste Angst empfinde ich, wenn ich an die Auseinandersetzungen denke, die uns erreichen müssen, wenn ganze Regionen ihre Frucht- und Bewohnbarkeit verlieren. Rüdiger, 63, Fischer, Musiker, Ingenieur und Händler im Ruhestand, Vaduz/LI
«Wenn ich an künftige Generationen denke, fühle ich mich schlecht.»
Es wird immer wärmer und in den Bergen sieht man die Gletscher schwinden. Ich fürchte, dass wir an dem, was wir tagtäglich selbst produzieren, ersticken könnten, und dass es keine frische Luft zum Atmen und kein sauberes Wasser zum Trinken gibt! Mein Körper leidet immer mehr. Es deprimiert mich, wenn ich an unsere Zukunft denke. Paola, 60, Psychologin, Meran/I