Vom Haus zur Landschaft
Ein Gebäude dient der Produktion, ist eine Behausung, bietet Waren ein Dach, steht als Wahrzeichen in der Landschaft. Hat nachhaltiges Sanieren und Bauen in den Alpen andere Funktionen als ausserhalb? Was hat sich getan in den letzten Jahren? Jury-Präsident Köbi Gantenbein zieht Bilanz zum Architekturwettbewerb «Constructive Alps».
Wird nachhaltig gebaut, wird der Klimawandel verlangsamt. Doch wie sollen Menschen von Slowenien bis Frankreich eine gemeinsame Nachhaltigkeits-Sprache reden? Wie ihr Messgerät für Nachhaltigkeit konstruieren? Der Jury des Architekturwettbewerbs «Constructive Alps» schien die Energie eine ebenso sinnvolle wie scheinbar einfach zu vergleichende Zahl: KWh/(m2a), also Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr. Wer über die Einreichungen der vier Ausgaben über sieben Jahre schaut, der sieht, dass die Anzahl der Häuser, deren Architekten und Ingenieurinnen tiefe Werte erreichen, zunimmt, und dass immer mehr Häuser gebaut werden, deren Haustechnik sie zu Kraftwerken macht; sie produzieren mehr Energie als sie für ihren Betrieb verbrauchen. Diese Zahlen waren der Jury – sie blieb über alle vier Austragungen dieselbe – ein nötiges, sinnvolles und wichtiges Geländer. Und verbunden mit weicheren Kriterien wie baukünstlerischer Güte, sozialem Nutzen und wirtschaftlicher Relevanz lassen sich Häuser mit exzellenten Energiezahlen gut unterscheiden.
Doch Kriterien, mit denen Nachhaltigkeit sinnvoll übersetzt werden kann, gelten für das Bauen überall, und es ist ja auch nötig, dass überall nachhaltig gebaut wird, soll der Klimawandel verlangsamt, ja aufgehalten werden. Es stellt sich also die Frage: Was ist denn beim Bauen und Sanieren innerhalb der Alpen anders als ausserhalb?
Alpenraum ist Lebensraum
Erstens betrachtete die Jury aufmerksam Einreichungen, die zur Zuversicht des ländlichen Raums etwas beitragen. Sie konnte denn auch in jedem Jahrgang das Kapitel «Renaissance des Dorfes» würdigen: gut geratene, öffentliche Bauten für Schule, Kindergarten, Musikfreude und Sportsgeist. Diese Sorgfalt fürs Dorf, für den kleinräumigen Lebensraum, selbstbewusst und gut geraten umgesetzt in Architektur, nimmt zu. Der ländliche Raum in den Alpen ist der typische, schöne und gut zu pflegende Raum.
Zweitens widmete die Jury ihr Augenmerk dem Bauen im Fremdenverkehr, dieser wichtigen Wirtschaft der Alpen. Die Tränen der Architektur auch bei durchaus guten Energiekennzahlen werden in dieser Branche nach wie vor fleissig geweint. Doch ausserordentlich engagierte Hoteliers zeigen mit guten Energiekennzahlen und schönen Häusern, wie sie ihr Geschäft erfolgreich führen. Bemerkenswert ist in diesem Kapiteln, wie regelmässig der Schweizer Alpen-Club SAC in den alpenweit herausragenden Bauten zum Tourismus Lob und Ehre erhält, von den Hütten «Monte Rosa», über «Moiry», «Terri», «Clariden» bis zur «Cabane Rambert». Das ist kein Zufall, dahinter steckt ein Konzept einer Institution, die ihr Erbe weiter entwickeln will – es ist vorbildlich. Damit verbunden ist auch die Grosszügigkeit der Jury, denn für den Bau und Betrieb der Hütten ist der wenig klimafreundliche Helikopterflug unabdingbar.
Schönheit und Lebensgüte
Schliesslich eine Beobachtung: 2010, im ersten Jahr, kamen ein gutes Dutzend Beiträge aus Vorarlberg in die zweite Runde – die Jury hat in jeder ersten Runde mehrere hundert Dokumentationen studiert und in der zweiten gut 30 Bauten vor Ort besucht, mit Bauherrschaften, Architektinnen, Bewohnern zu reden. 2017 sind es immer noch fünf Beiträge zwischen Bregenzerwald und Rheintal – darunter das Schulhaus von Brand auf dem ersten Platz. Das heisst erstens: Vorarlberg ist das Zentrum nachhaltigen, schönen Sanierens und Bauens. Zweitens: Die Streuung der guten Projekte wird breiter. Sie reicht von Rinka in Slowenien, dessen Haus für den Fremdenverkehr 2013 einen Preis erhielt, bis zum Kulturhaus von Cles in den italienischen Alpen, das 2107 ausgezeichnet wurde. Und immer gut vertreten sind die Architekten und Bauherrinnen aus dem Schweizer Kanton Graubünden.
Viermal hat «Constructive Alps» den Schönheitswettbewerb für gute, weil nachhaltige Häuser in den Alpen aufgeführt und mit einer Wanderausstellung zwischen Slowenien und Frankreich viel Öffentlichkeitsarbeit gemacht für klimataugliche, gute Architektur. Die Bilanz verlangt Demut: Architektur hat gegen grosse, klimarelevante Probleme der Alpen wenig zu bestellen. Dem wachsenden Transitverkehr ist gute Architektur ebenso gleichgültig wie sie gegen den dramatischen Rückgang der Biodiversität in den Alpen wenig ausrichten kann.
Die Bilanz stiftet dennoch Zuversicht: Selbstbewusste, erwachende Landwirtschaft in den Alpen, vernünftiger, weil sorgsam eingerichteter Fremdenverkehr, sinnvoll und verlässlich eingerichtete öffentliche Dienstleistungen und Infrastrukturen – von der Mobilität bis zur Kultur- und Lebensmittelversorgung – sind entscheidend für die Schönheit und Lebensgüte der ländlichen Räume in den Alpen. Gute Architektur trägt dazu nachhaltige Bauten bei – schöne, brauchbare und eigensinnige.