Verfassungsgerichtshof hebt Vorarlberg Verordnung auf Grundlage des Protokolls "Naturschutz und Landschaftspflege" der Alpenkonvention auf
Eine gute Nachricht für den sensiblen Alpenraum: Auf Antrag des Landesvolksanwaltes von Vorarlberg hat der Verfassungsgerichtshof am 15.12.2021 (GZ: V 425/2020-9) eine Vorarlberger Verordnung, mit der das Naturschutzgebiet „Gipslöcher“ in Lech (LGBl. 41/2019) um eine Teilfläche von rund 900 m2 verkleinert werden sollte, als gesetzwidrig aufgehoben.
Hintergrund der Verordnung war der Plan zur Errichtung einer neuen Liftanlage „Grubenalpbahn“ in der Gemeinde Lech. Die geplante 6er-Sesselbahn würde auf einer Länge von ca. 84,8 m das Naturschutzgebiet „Gipslöcher“ überspannen. Bereits vor der Flächenreduzierung des Naturschutzgebietes erfolgte eine negative Beurteilung des Vorhabens durch ein naturschutzfachliches Gutachten. Darin wird festgehalten, dass die Errichtung der Grubenalpbahn das Landschaftsbild dauerhaft nachteilig beeinflusst und somit im Widerspruch zum Schutzzweck des Gebietes steht.
Während der Landesvolksanwalt mit seinen ersten zwei Vorbringen erfolglos blieb, drang er mit dem Argument, dass die Bestimmung des Art 11 Abs 1 des Durchführungsprotokolls der Alpenkonvention „Naturschutz und Landschaftspflege“ bei der Erlassung der Verordnung unberücksichtigt geblieben sei, durch. Der Verfassungsgerichtshof hält fest, dass das Art 11 Abs 1 Protokoll „Naturschutz und Landschaftspflege“ unmittelbar anwendbar ist und Österreich damit verpflichtet ist, „bestehende Schutzgebiete im Sinne ihres Schutzzweckes zu erhalten, zu pflegen und, wo erforderlich, zu erweitern“. Beeinträchtigungen oder Zerstörungen der Schutzgebiete sind durch geeignete Maßnahmen zu vermeiden. Aus der Anwendung dieser Bestimmung ergibt sich auch die Verpflichtung zur Durchführung einer Interessenabwägung im Verordnungserlassungsverfahren.
Soweit wenig überraschend. Interessant wird es bei der Begründung der Gesetzwidrigkeit. Der VfGH führt dazu wie folgt aus:
„Die Vorarlberger Landesregierung hat als wesentliche Begründung für den Änderungsbedarf die Errichtung einer Liftanlage (,Grubenalpbahn‘) angegeben. Dieses Interesse ist mit dem öffentlichen Interesse an der Erhaltung des Naturschutzgebietes abzuwägen, insbesondere unter Berücksichtigung von Art. 11 Abs. 1 Naturschutzprotokoll (,alle geeigneten Maßnahmen‘; Hautzenberg, RdU 2013, 240). Eine ausreichende Interessenabwägung geht aus den Verordnungsakten aber nicht hervor. Auch der von der Vorarlberger Landesregierung vorgebrachte Umstand, dass es sich nur um eine geringfügige Verkleinerung des Naturschutzgebietes handle und die betroffene Fläche überwiegend landwirtschaftlich genutzt werde, reicht dafür nicht aus.“
Fazit des Erkenntnisses: Die Behörden haben die Bestimmungen der Alpenkonvention sorgfältig auf ihre Anwendbarkeit und auf ihre enthaltenen Verpflichtungen zu überprüfen. Im Rahmen der Interessenabwägung ist eine eingehende Auseinandersetzung der öffentlichen Interessen vorzunehmen. Wird dies nicht gemacht, laufen Behörden Gefahr, potenziell rechtswidrige generelle und individuelle Rechtsakte zu erlassen.