Requiem für einen Gletscher

Österreichs grösster Gletscher, die Pasterze am Grossglockner, wurde im Herbst 2023 symbolisch zu Grabe getragen. Margit Leuthold ist evangelische Pfarrerin in Lienz (Osttirol) und verlas bei der Veranstaltung das folgende Requiem.

Unsere Alpen riechen nach Freiheit, seit bald 200 Jahren euphorisieren sie das Weiter – Höher – Grösser und manchmal auch das Gebet: «Näher zu dir, mein Gott». In diesem Sinn beteten auch jene, die vor 3.000 Jahren nach Jerusalem hinaufzogen. Nun ist der Aufstieg auf 900 Meter nach Jerusalem im Vergleich zum Grossglockner eher ein Spaziergang – doch für mich, oder für jene, die aus den jüdischen und christlichen Schriften die Psalmen beten gelernt haben, ist der Ort «oben am Berg» ein Ort der Gottesnähe und der Gottesbegegnung. Es ist Menschheitswissen darüber, dass wir hier oben deutlicher als unten im Tal feststellen: Wir Menschen sind doch klein und angewiesen im Vergleich zu dieser gewaltigen Bergwelt. Wir Menschen sind keine Eroberer der Alpen, keine Bezwinger der Gipfel. Das sind wir niemals gewesen. Und wir erleben gerade am Berg die Gefahr, wenn wir uns selbst überschätzen.

Hier oben ist der Ort für Ehrfurcht und Umkehr. Ehrfurcht, weil wir – selbst wenn wir uns als mächtig erleben oder nach unseren Interessen handeln – aus uns selbst heraus vom Leben selbst doch nur abhängig sind. Ehrfurcht, weil die Probleme, die wir jetzt zu bewältigen haben, so viel grösser geworden sind und es jetzt Mut und das gesamte Wissen braucht, das wir zu geben vermögen. Ehrfurcht, weil die grenzenlose Kriegsgewalt, die heute der ganzen Menschengemeinschaft zugemutet wird, auch unser Land und Leben zerstört und es unsere gemeinsame Entschlossenheit für das Lebendige braucht. Dass wir heute hier versammelt sind, ist nicht nur eine symbolische Aktion, sondern ein Aufruf zur Umkehr. Eine Umkehr, denn wir müssen für das Leben aller Menschen auf dem Weg sein. Unsere Berge reagieren hier auf die globale Klimaveränderung und das Bild der heilen Welt hier bei uns schmilzt mit dem Gletscher dahin. Aus Gottes Zusage aber entsteht Hoffnung. Die Schöpfung wartet auf uns als Töchter und Söhne Gottes, weil wir in Freiheit und Verantwortung vor dem Lebendigen zum Guten hin begabt sind. Suchen wir nach dem, was gut läuft – als Samenkörner der Hoffnung, die notwendig sind für eine nachhaltige Politik. Öffnen wir unsere Augen und Ohren für die Forderungen, die junge Menschen an uns herantragen, die sich um die zögerliche Klimapolitik Sorgen machen. Wir wissen, die Letzten werden die Ersten sein.

Eisige Klimakampagne

Mit dem Gletscherbegräbnis an der Pasterze im September 2023 thematisierte der internationale Klimaschutzverein «Protect Our Winters (POW)» die Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels in unserer unmittelbaren Umgebung. Zudem beleuchteten Kurzvorträge von Expert:innen die ökologischen, sozialen und ökonomischen Aspekte der Klimakrise. Der Sarg aus Eis von Künstler Max Seibald symbolisierte den Gletscherschwund in den Alpen auf dramatische Weise. Die Zusammenarbeit mit der katholischen und evangelischen Kirche zeigte, dass Klimaschutz keine Glaubensfrage ist, sondern die Gesellschaft als Ganzes betrifft.

www.protectourwinters.org