Kampf ums Alpenwasser
Revival für den Wasserkraft-Boom: Schon vor 70 Jahren wurden viele Alpenflüsse für Kraftwerke gestaut und wertvolle Hochtäler verbaut. Heute bedrohen neue Begehrlichkeiten ihre ökologischen Funktionen. Angesichts schwindender Gletscher und zunehmender Nutzungsansprüche droht ein Verteilungskampf.
«Auch wenn in ihnen zu wenig fliesst, um die Ökosysteme zu nähren, ist es gerade noch etwas zu viel, um endlich in Ruhe gelassen zu werden», schreibt Kaspar Schuler, Geschäftsführer von CIPRA International, einleitend in seinem Gastartikel über die Alpenflüsse für das aktuelle Alpenvereinsjahrbuch. Die Aussichten für alpine Gletscher und Stauseen seien aufgrund der Klimaerwärmung fatal, eine europaweite Verteilungskrise des alpinen Wassers sei nicht auszuschliessen, so Schuler. 2014 stellte man etwa in Frankreich fest, dass die Wasserentnahmen aus der Rhone bis 2026 um 30 Prozent zunehmen werde. Das werde vorab die Kraftwerke betreffen, nicht zuletzt die französischen Atomkraftwerke, die grosse Mengen Kühlwasser diesem Alpenfluss entnehmen, der bei anhaltender Trockenheit jedoch zu wenig Wasser führt. «Bei den künftig vermehrt auftretenden Dürren und Trockenperioden wird das zu einem innereuropäischen Thema. Die alpinen Kernländer Österreich und Schweiz wollen noch weitere Mengen ihres alpinen Wasser in der Höhe speichern, um es im Winter zu Strom und künstlichem Schnee für den Wintertourismus zu machen. Ihre südlichen und nördlichen Nachbarn hingegen werden immer mehr Bedarf an Sommerwasser haben – für die Nährung der Grundwasserströme, die Bewässerung in der Landwirtschaft, für die Trinkwasserversorgung und die Industrie.» Die gewässerökologischen Anliegen zum Erhalt und zur Stärkung der Biotope an den Fliessgewässern sowie der grossen Artenvielfalt in den dortigen Auen drohen in diesem Nutzungskonflikt vollends unterzugehen.
Zum Schutz der letzten Flussläufe verpflichtet
Trotz dieser Zielkonflikte ist ein Boom beim Bau von Wasserkraft- und im Speziellen der Pumpspeicher-Kraftwerke zu beobachten, die allerdings rund 20 Prozent ihrer nutzbaren Energieproduktion beim Hochpumpen des Wassers in Speicherseen «vernichten», wie Schuler schreibt. «Doch solange die Preisdifferenz zwischen angekauftem Pumpstrom und verkauftem Spitzenstrom diese Pumpverluste kompensiert, rentiert sich dieses Geschäftsmodell.» Manche der durch die Klimakrise neu entstehenden Gletschervorfelder in der Schweiz sind besonders interessant für den Bau neuer Speicherseen, andernorts sollen hochalpine Moorlandschaften für die Energieproduktion geopfert werden, wie in Österreich. Dabei gebe es heute bereits andere technische Möglichkeiten der Energiespeicherung, betont Schuler. Um die letzten verbliebenen Bäche und Flüsse vor dem Totalausbau der Wasserkraft zu bewahren, haben die Vertragsstaaten der Alpenkonvention bereits 2020 eine gemeinsame Erklärung zum Schutz der letzten, unberührten Flussabschnitte abgegeben. Zudem hat die CIPRA im Frühling 2023 Beschwerde beim Überprüfungsausschuss der Alpenkonvention eingereicht. Darin verlangt sie die eingehende Untersuchung der Frage, ob die Beschleunigungsgesetze zur Stromproduktion in der Schweiz und der EU verschiedene Protokolle der Alpenkonvention verletzen. Während die Schweiz ihre diesbezügliche Untersuchungspflicht grundsätzlich verneint, soll die Sichtweise der EU-Kommission im Oktober 2024 im Überprüfungsausschuss der Alpenkonvention behandelt werden.
Kaspar Schulers achtseitiger Gastbeitrag im «Alpenvereinsjahrbuch 2025» ist hier als PDF in deutscher Sprache verfügbar: Alpenvereinsjahrbuch Berg 2025 (de)