« Die allermeisten Leute haben ja Lust auf Zukunft»

Bea Albermann arbeitet als Assistenzärztin in einer Kinderklinik. Die junge Schweizerin hat «Health for Future Switzerland» mitbegründet, protestierte bei Weltklimakonferenzen und motiviert andere dazu, ihren politischen Handabdruck zu vergrössern.

Aktuell arbeitest Du im Schweizer Universitätsspital Lausanne. Wie wirkt sich die Klimakrise denn speziell auf unsere Gesundheit – und die unserer Kinder – aus?
Wenn es jetzt heisser wird, können Kinder im Sommer weniger rausgehen zum Spielen. Die Gefahr eines Hitzeschocks nimmt immer mehr zu. Im Hinterhof in der Sonne eine runde Kicken ist nicht mehr so einfach, wenn es eine Woche lang über 30 Grad heiss ist. Hitze betrifft besonders ganz kleine Kinder, aber auch ältere Leute und Menschen mit chronischen Erkrankungen. Für Kinder ist auch Asthma aufgrund von Luftverschmutzung ein Thema. Neun von zehn Menschen weltweit atmen verschmutzte Luft ein. Neun von zehn, das ist wahnsinnig viel! In der Schweiz etwa sind über Ostern viele Menschen im Tessin, weil es dort schön warm ist. An der Alpensüdseite bleibt aber der Smog der Grossstadt Mailand hängen. Deshalb haben wir im Tessin schweizweit die höchsten Luftverschmutzungswerte. Und dann gibt es noch Infektionskrankheiten. Mit dem heisseren Klima kann zum Beispiel auch eine Tigermücke nördlich der Alpen überwintern. Die trägt solche Krankheiten wie Dengue oder Chikungunya. All diese Umweltveränderungen wirken sich auf die Psyche aus, und da kommt wieder meine tägliche Arbeit ins Spiel. Eine grosse Studie von Lancet Planetary Health hat gezeigt, dass über 60 Prozent der Kinder und Jugendlichen wahnsinnige Angst haben vor der Klimakrise. Was heisst das, in einer Welt aufzuwachsen, wo man in der Schule lernt, dass wir gerade dabei sind, unsere eigene Lebensgrundlage zu zerstören? Da muss man schon einen ganz schönen Krisen-Muskel aufbauen. Hoffnung kommt ja nicht einfach so vom Himmel geregnet. Die muss man auch lernen.

Du engagierst dich bei Health for Future Schweiz, protestierst bei Klimagipfeln und trittst auf Demos auf, hältst Reden und Vorträge. Warum?
Ich habe angefangen, Medizin zu studieren, weil ich mich dafür einsetzen wollte, dass alle Menschen einen gerechten Zugang zu Gesundheit haben. Wenn alle so leben und konsumieren würden wie wir, dann bräuchten wir mehr Planeten und mehr Ressourcen, als wir eigentlich haben. Wir haben unsere Telefone immer griffbereit in der Nähe liegen. Was für Mineralien und Ressourcen stecken da drin, wer produziert die, wo kommen die her und was für Gesundheitsfolgen haben die Menschen vor Ort? Das hat mich so wütend gemacht. 2018 gingen mit Fridays for Future immer mehr junge Menschen auf die Strasse. Als ich in Lausanne studierte, habe ich 2019 eine grosse Konferenz junger Klima-Aktivist:innen mitorganisiert. Es kamen über 500 Menschen aus rund 30 Ländern, darunter Autor:innen des Weltklimaberichts, Nobelpreisträger:innen und auch Greta Thunberg. Wir hatten viel mediale Aufmerksamkeit. Da fragte ich mich: Und was macht die Gesundheitscommunity? Wie kann es sein, dass ich im Medizinstudium nichts über die grösste existierende Bedrohung für die menschliche Gesundheit gelernt habe? Als ich diese Dringlichkeit verstanden hatte, konnte ich gar nicht anders, als weitermachen. Es braucht wahnsinnig viel Energie, einfach so zu tun, als wäre nichts. 

Du sprichst ja nicht nur von der Klimakrise, sondern gleich von drei planetaren Krisen. Welche meinst Du?
Die Klimakrise ist ganz eng verstrickt mit der Biodiversitätskrise, auch im Alpenraum mit seinen fragilen Ökosystemen. Hier ist es jetzt schon zwei Grad heisser als im Vergleich zu den vorindustriellen Werten, weltweit sind wir bei 1,2 Grad. Wir verlieren dadurch die Gletscher, die wie ein Kühlschrank funktionieren. Zwei Grad mehr wirken sich auch auf viele Pflanzen- und Tierarten aus. Was uns zur dritten Krise bringt, der Verschmutzung. Selbst in den entlegensten Alpentälern findet man in Hummeln Plastikteilchen und Chemikalien, die eigentlich nicht in diesen Tieren sein sollten. Plastikmoleküle, wie sie für Teflonpfannen verwendet werden, findet man in beinahe jedem Menschen auf der Welt. Wir brauchen nicht nur eine Netto-Null-Zukunft, sondern müssen dabei auch die Arten schützen. Ich bin dagegen, dass wir Solarparks in den Naturschutzgebieten unserer Berge errichten, nur weil wir unsere Lebensweise in den Städten nicht ändern wollen. Wir müssen jene Ökosysteme, die es jetzt noch gibt, unbedingt schützen und weitere Verschmutzung abwenden. 

Durch Deine Tätigkeit für Health for Future bist Du auch auf Politiker:innen und Manager:innen getroffen. Was halten die von Deinen Ansichten?
Wir haben planetare Grenzen und begrenzte Ressourcen. Bei einem Wirtschaftssystem, das auf grenzenlosem Wachstum basiert, kommt mir als Medizinerin erst mal Krebs in den Sinn. Das ist nicht gesund. Wir brauchen ein Wirtschaftssystem, das die planetaren Grenzen respektiert. Und wenn man sich auf diesen wissenschaftlichen Konsens mal einigt, dann ist es gar keine Frage des Wirtschaftssystems mehr. Natürlich brauchen wir ein System, das diese Grenzen respektiert und nicht das Wachstum ins Zentrum stellt. Was ist denn eigentlich unser Ziel? Müssen wir die Wirtschaft retten oder uns Menschen? Wollen wir saubere Luft atmen und sauberes Wasser trinken? Oder ist es das Ziel, dass die Wirtschaft immer weiter wächst und irgendwann die Luft und unser Grundwasser so verschmutzt sind, dass wir das alles nicht mehr können? Das kommt bei Politiker:innen und in der Privatwirtschaft auch an. Andererseits gibt es diesen Spruch: «Menschen können sich eher das Ende der Welt vorstellen als das Ende des Kapitalismus». Dabei ist das gar keine Utopie, sondern es gibt viele gute Ansätze und Orte, wo das anders gelebt wird.

Fahrrad fahren, weniger Fleisch essen – das alles verkleinert unseren CO2 – Fussabdruck und ist zudem gesund. Du plädierst aber vor allem für einen grösseren politischen Handabdruck. Was meinst Du damit?
Es gibt ja auch einen Grund, warum der CO2-Fussabdruck von BP, einer der grössten Ölfirmen der Welt erfunden wurde. Die haben gesagt: Ihr wollt Wandel, dann fangt mal bei Euch selber an! Wenn ich aber meine ganze Energie nicht nur auf mich selber fokussiere, kann ich auch was auf systemischer Ebene verändern und mehr bewegen. Wenn alle auch ihren politischen Handabdruck erklären, ihre Hände ausstrecken und fragen: Wer ist denn mit im Team? Mit wem habe ich noch nicht gesprochen? Sei es beim Abendessen mit der Familie, sei das bei der Arbeit. Oder dass ich frage, ob Geld aus meiner Altersvorsorge immer noch für Kohleförderung genutzt wird? Geldanlagen wie diese fliessen häufig in fossile Energien. Und wir können Briefe an unsere Pensionskassen schreiben mit der Aufforderung, dies zu ändern. Das Gute ist: Die allermeisten Leute haben ja Lust auf Zukunft. Es macht Spass, sich mit anderen zusammenzutun und den Status quo nicht einfach zu akzeptieren. Es geht gar nicht darum, ob wir das 1.5-Grad-Ziel schaffen oder nicht. Mit jedem 0.1 Grad Klimaerhitzung werden Millionen von Menschen sterben – darum geht's. Es gibt kein zu spät, wir müssen heute anfangen. Da gibt es verschiedenste Ebenen: Wen ich wähle, ob ich auf die Strasse gehe für das, was mir wichtig ist, wie ich mich mit der Lokalpolitik auseinandersetze, an meinem Arbeitsort, an der Universität, in der Schule – an allen Orten, wo ich so unterwegs bin. Und ich mich dabei immer frage: Wer hat ein bisschen mehr Macht als ich selber? 

Unter anderem propagierst Du kürzere Arbeitszeiten – wie hilft uns das in diesem Zusammenhang?
Wenn wir die Arbeitszeit reduzieren würden, dann würden Menschen nicht mehr so viel konsumieren und produzieren. Es hätten mehr Menschen Zeit, sich mit einem gesunden Leben auseinanderzusetzen. Wer mehr zum Beispiel fürs Kochen Zeit hat, kauft nicht einfach schnell was zum Mitnehmen. Wenn ich mir was koche mit lokalem, regionalen Gemüse – weil ich auch Zeit habe, heute auf den Markt zu gehen – ist es besser für die Umwelt und erzeugt weniger CO2. Es ist aber auch besser für meine eigene Gesundheit. Wenn ich die Zeit habe, mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren und gute Fahrradwege vor Ort habe, dann reduziere ich nicht nur die CO2-Emissionen, sondern auch mein Herzinfarktrisiko und tue etwas Gutes für meine psychische Gesundheit. Und wenn ich zum Beispiel die Zeit habe, pro Woche mindestens zwei Stunden im Grünen zu verbringen – in den Bergen oder am See – dann kann ich meine Lebenserwartung um zwei Jahre verlängern. Das ist wahnsinnig viel! Es lohnt sich also, diese Zeit zu haben. Das ist eine konkrete Massnahme, um diese systemischen Krisen anzugehen. Alleine kann ich einen Wirtschaftswandel nicht herbeiführen. Dafür brauchen wir viele kreative Köpfe, und die brauchen auch die Zeit, sich damit auseinanderzusetzen.

Was lässt Dich weitermachen? 
Ein wichtiger Moment für mich war die Weltklimakonferenz in Ägypten. Dort sind Demonstrationen per Verfassung verboten und die Redefreiheit eingeschränkt. Hier in Europa können wir in den meisten Ländern einfach auf die Strasse gehen. Wenn ich ein T-Shirt anhabe, wo «Stop Fossil Fuels» drauf steht, dann komme ich dafür nicht ins Gefängnis. In Ägypten sitzen Zehntausende von Menschen aufgrund von sozialem Widerstand oder Klimaprotesten im Gefängnis. Wir können unsere Redefreiheit nutzen und das Thema mitgestalten. Demokratie ist eben nicht etwas passiv Gelebtes. Demokratie heisst auch: Wenn ich unzufrieden bin und Veränderung will, dann gehe ich mit anderen Menschen auf die Strasse und wir reden mit Entscheidungsträger:innen. Es liegt Magie in jeder Person mit genügend Zeit, Ressourcen und Privilegien, die sagt: Lass uns das mal ändern. Mir macht es Freude, das weiter zu kultivieren und mit Menschen zusammenzukommen. Viele Menschen mit tollen Ideen sind schon auf dem Weg zu dieser wünschenswerten Zukunft. 

Die aktivistische Ärztin
Jedes Jahr veröffentlicht das Wirtschaftsmagazin «Forbes» die «30 under 30»-Liste. In der Schweiz befand sich 2022 unter ihnen auch die damals 25-jährige Ärztin Bea Albermann. Sie ist Aktivistin und Mitgründerin von «Health for Future Switzerland». Albermann studierte Medizin an den Universitäten Zürich und Lausanne und arbeitete als Co-Autorin an der nationalen Planetary-Health-Strategie des Schweizer Ärztedachverbands, die im Herbst 2021 verabschiedet wurde. Die ehemalige WHO-Jugenddelegierte engagiert sich leidenschaftlich für gesundheitliche Chancen- und Umweltgerechtigkeit. Albermann hat neben zahlreichen Vorträgen auch zwei TEDx-Talks zu Planetary Health an der Universität St.Gallen gehalten. 2023 war sie Key Note Speakerin beim Zukunftsforum Alpen in Liechtenstein zum Thema «Meine Gesundheit, unser Klima», organisiert von CIPRA International. Aktuell arbeitet Bea Albermann im Universitätsspital Lausanne in der Schweiz. 

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