Der Klangfänger
Mit Mikrofon und feinem Gehör ergründet Ludwig Berger die Klänge von Landschaften. Der Soundkünstler macht die Klimakrise hörbar und eröffnet faszinierende Eindrücke in verborgene Klangwelten des Lebendigen und Vergänglichen.
Ein leises Knacken und Knistern, rhythmisches Klopfen. Sanftes Gurgeln, das zu ohrenbetäubendem Rauschen wird. Das hört Ludwig Berger, wenn er mit Kopfhörern und Mikrofonen auf dem Schweizer Morteratschgletscher steht. Der Klangkünstler hat den Eisriesen über mehrere Jahre akustisch erforscht und eine geheime Welt offengelegt: das Weinen und Schreien eines Gletschers. Die eisige Exkursion begann am Institut für Landschaftsarchitektur der ETH Zürich, wo Ludwig Berger mit Studierenden im Rahmen eines Seminars Klänge von Orten untersuchte. Daraus entstand eine mehrjährige Serie, die dokumentiert, wie Gletscher als Symbole des Klimawandels klingen. Berger befestigte Aufnahmegeräte direkt an der Gletscherzunge, tauchte Unterwassermikrofone in Gletscherspalten und nutzte den Schnee als Klebemasse. «Man ist über den Schall mit dem gesamten Gletscher verbunden», erklärt er. Die Geräusche der freigesetzten Luftblasen, die jahrhundertealt sein können, faszinieren: Ein kurzes «Plopp», dann verschwinden sie für immer.
Im Winter dominiert Stille: das Resonieren des Eises, das Fallen von Schnee. Im Sommer hingegen erzeugt die Schmelze ein lautes Klangbild. «Es ist ein physisches Erlebnis», erzählt Ludwig Berger. «Durch die tiefen Vibrationen, die spürbaren Schläge und die unglaublichen Melodien habe ich einen persönlichen Bezug zum Gletscher bekommen und das Gefühl, dass er lebendig ist.» Teilweise klinge es brutal und beängstigend, manchmal aber auch lustig, weil das Ächzen des Eisgiganten ihn an menschliche Körpergeräusche erinnere.
Ludwig Berger wuchs in einem Dorf im Elsass auf, umgeben von Wiesen und Wäldern. Schon früh faszinierte ihn die verstärkte Wahrnehmung seiner Umwelt. Er studierte elektroakustische Komposition, doch natürliche Klänge zogen ihn stärker an: «Das Knistern und Knacken einer vereisten Pfütze fand ich viel interessanter als alles, was ich im Studio programmieren kann.» Neben Gletschern hat er auch Tiere, Wüsten, Bäume und Vulkane akustisch erforscht. «Mich interessiert alles, was lebendig ist, auch menschliche Infrastruktur oder Resonanzen von Architektur.»
Für den luxemburgischen Pavillon der Architekturbiennale 2025 untersuchte er «Ökotone», den Übergangsbereich zwischen neuen Landschaften wie Datenzentren oder schwimmender Photovoltaikanlagen und ihrer natürlichen Umgebung. Der Morteratschgletscher begleitet ihn weiter: ein Teil seines Albums «Crying Glacier» wird mit einem neuen Verfahren der ETH auf synthetische DNA gespeichert, in Nanopartikel umgewandelt und in einer Zeitkapsel im Gletscher vergraben. In 100 Jahren sollen die Klänge an dem dann wohl nicht mehr existierenden Gletscher abgespielt werden – der Klang als Fossil.
«Ich fühle mich am lebendigsten, wenn ich aufmerksam zuhöre», sagt Berger. Seine Arbeit öffnet Menschen neue, akustische Welten. «Dieser Moment der Verwunderung und Verzauberung ist das, was mich am glücklichsten macht.»
Weiterführende Informationen: www.ludwigberger.com